HAUS - LIT MARVEIL (by Beat Gysin)







HAUS ist ein musikalisch-architektonisches
Projekt von studio-klangraum unter der Leitung von Beat
Gysin.
Ungewöhnliche Aufführungssituationen wie 1:1-Performances
oder Kopfhörer-Konzerte machen HAUS zu einem Hörabenteuer.
Die überraschenden, teilweise gar verwirrenden
räumlich-klanglichen Darbietungen lösen ein Nachdenken
über die Wahrnehmung von Musik und Architektur aus. Die
HAUS-Konzerte werden von einem vielfältigen Rahmenprogramm
flankiert: Hörspaziergänge, Architekturführungen,
Gespräche, Workshops ermöglichen vielfältige Zugänge.
HAUS besteht aus drei Kompositionen:
«Hausmusik», «Lit Marveil» und «Architekturmusik». Sie
haben alle dasselbe Thema: Besondere
musikalisch-architektonische Wahrnehmungen zu provozieren
und damit eine Reflexion über das Verhältnis der beiden
Künste anzuregen. Die Aufführungs-Situationen sind
ungewohnt, die Konzerte kleine Hör-Abenteuer. Ist Musik
eine Zeit- oder vielleicht auch eine Raumkunst?
Gaston Bachelard beschreibt in seinem Buch «Poetik des Raums»
feinfühlig die unzähligen und flüchtigen Stimmungen, die in Innen-
räumen «unter Einbezug der Vorstellungskraft» herrschen können.
Haus ist ein Versuch, sich mit musikalischer Sprache solchen «Stim-
mungen in den Räumen» zu nähern. Die Haus-Komposition besteht
aus drei Teilen: Hausmusik, Lit Marveil und Architekturmusik. Die
drei Teile sind inspiriert durch drei Raumtypen und die Stimmun-
gen, die darin herrschen, durch ein «Zimmer», einen «Durchgangs-
raum» und einen «Aufführungsraums». Sie stehen exemplarisch da-
für, dass jedes Haus aus verschiedenen Räumen mit verschiedenen
Atmosphären besteht.
Weil das Publikum der Reihe nach alle drei Raumtypen besucht, er-
hält es in der Summe einen Gesamteindruck, hört es eine Komposi-
tion über das «Haus» als Ganzes.
Lit Marveil
Schlaf-, Arbeits- oder Ess-«Zimmer» laden zum Verweilen und einer
bestimmten Tätigkeit ein. Zimmer sind kleine, private Raumkapseln:
Ist man einmal drin, spielt es oft keine Rolle mehr «WO» das Zimmer
ist. Lit Marveil ist eine 1:1-Soloperformance und findet in einem kleinen
Zimmer, zum Beispiel einem Arbeits-, Wohn-, Schlafzimmer, oder in
einem etwas grösseren Zimmer wie einem Büro oder Aufenthalts-
raum statt. Schon der Hinweg ist eine kleine Besonderheit: Man geht
zu zweit an einen für den Besucher unbekannten Raum. Dort setzt
sich der Besucher auf einem Drehstuhl. Ein/e SängerIn singt, flüs-
tert und erzeugt gleichzeitig einfache Geräusche, z.B. Stoff- oder
Fingergeräusche. Kleine akustische Massnahmen verändern das
Hören-im-Raum. Alles Klingende ist zunehmend nahe am Ohr des
Besuchers, zum Teil mit kleinen Berührungen. Die Geräusche wer-
den immer leiser, so dass sie im Raum irgendwann nicht mehr wi-
derhallen, nur noch am Ohr (und Körper) klingen. Bei zunehmender
Dunkelheit und durch einen Schleier vor den Augen des Besuchers
bewegt sich der/die SängerIn langsam aber immer unsichtbarer um
den Gast und dreht gleichzeitig den Drehstuhl. Der Gast verliert sei-
ne Orientierung im Raum und schliesslich überhaupt den Bezug zum
«Zimmer», in dem er sich aufhält.
Wenn man abends einschläft und die Decke über den Kopf zieht, ist
der reale akustische Raum aufs Kleinste verkleinert. Dennoch ver-
grössert sich die Fantasie im Traum und das ganze Weltall steht ih-
ren Flügeln bereit.
Hausmusik
«Durchgangsräume» laden, wie der Name andeutet nicht zum Ver-
weilen ein. Ob Treppe oder Korridor, sie sind Verbindungen zwi-
schen angrenzenden Räumen. Immer stellt sich die Frage «WORIN»,
in welche Umgebung ein Durchgangsraum ist.
Das Publikum sitzt in einem Durchgangsraum. Vier Musiker spielen
auf Haushaltgeräten und ihren angestammten Instrumenten (Klari-
nette, Posaune, Perkussion, Violine) und laufen dazu im ganzen Ge-
bäude herum; man könnte meinen, einem häuslichen Alltag zuzuhö-
ren und hört fern bis in die entlegensten Winkel des Gebäudes. Wie
sich Geräusche oder Stimmen verhalten, wenn sie weit weg sind?
Wie sie zusammenklingen? Kleine Irritationen machen sich bemerk-
bar, wenn z.B. ein unmöglicher Raumwechsel eines «Hausbewoh-
ners» stattfindet oder wenn er an zwei Orten gleichzeitig zu hören
ist. Wenn Wände mitklingen - oder sind es Lautsprecher? Kleine Ab-
surditäten werden hörbar und im wachsenden räumlichen Wirrwarr
verändert sich auch die Musik, hilft bei der Verwirrung selbst mit,
stiftet aber auch Einheit. So vermag es Musik (und nur Musik!), «Räu-
me zu vereinen». Wenn zum Beispiel die Töne eines moll-Dreiklangs
in drei verschiedenen Räumen gespielt werden, bleibt doch ein Drei-
klang hörbar und erkennbar, so als wären die drei Räume nicht von-
einander getrennt.
Architekturmusik
«Aufführungsräume» sind öffentlich und werden in verdunkelte Zu-
schauer- und beleuchtete Bühnenräume unterteilt. Man ist neugie-
rig darauf, «WOHIN» die Vorführung entführen wird.
Das Publikum trägt offene Kopfhörer und hört doppelt Musik: dieje-
nige in den Kopfhörern und diejenige im Aufführungsraum. Diejeni-
ge im Kopfhörer wurde zuvor (in demselben Raum) aufgenommen.
Zwei Klangwelten mischen sich und man kann sie akustisch nicht un-
terscheiden. Und auch musikalisch nicht, denn die Komposition be-
steht aus zwei Hälften, die erst im Zusammenklang einen musikali-
schen Sinn ergeben.
Das Publikum sitzt innerhalb eines Raums-im-Raum. Er ist seitig und
hinten durch Leinwände und vorne durch eine Fensterscheibe be-
grenzt. Die Musiker (Sängerin, Klarinette, Violine) spielen im Dun-
keln, oft hinter der Fensterscheibe und sind oft nur schemenhaft
erkennbar. Gleichzeitig sieht das Publikum in einer zweiten Schei-
be die Spiegelung eines Films derselben Musiker. Die gefilmten Ak-
tionen sind dem live-Geschehen aber zum Verwechseln ähnlich, so
dass das Publikum nicht unterscheiden kann, was «live» und was
Film ist. In gewisser Weise spielt das reale Musikertrio mit seinen ei-
genen Avatars Ensemble.
Wegen der Verdunkelung sieht das Publikum den Bühnenraum hin-
ter der ersten Scheibe, der «Fensterscheibe» schlecht. Hingegen
sieht es darin nochmals eine Spiegelung: Der Bühnenraum wird ein
zweites Mal hinter dem Publikum gebaut und spiegelt sich nun in
der Fensterscheibe genau dorthin, wo auch der echte Bühnenraum
steht. Je nach Lichtverhältnissen sieht das Publikum also den ech-
ten Bühnenraum oder seine Spiegelung. Und weil beide gleich aus-
sehen, kann sie das Publikum nicht unterscheiden.
Wenn jedoch ein Musiker auf der Bühne steht und das echte Büh-
nenbild sich sukzessive in das gespiegelte Bühnenbild verwandelt
(ohne dass der Besucher das merkt), scheint der Musiker zu ver-
schwinden.
All diese Tricks sind unterhaltsam. Sie werden jedoch nur mit einem
einzigen Ziel dargeboten: Dem Besucher deutlich zu machen, dass
die Wahrnehmung zwischen physischen und virtuellen Realitäten
nicht immer unterscheiden kann.
Team
Idee, Raumkomposition
Beat Gysin
Projektbegleitung, Bewegung im Raum
Joachim Schlömer
Film, Fotografie
Anna Katharina Scheidegger
Bühne, Requisiten
Peter Affentranger
Projektleitung
Anne-Sophie Raemy
Administration
Suzanne Oesch
SängerInnen
Martina Bovet
Wael Sami Elkholy
Javier Hagen
Viviane Hasler
Jessica Jans
Lena Kiepenheuer
Schoschana Kobelt
Sylvia Nopper
Tiago Oliveira
Florence Renaut
Meret Roth
MusikerInnen
Donna Molinari, Klarinette
Branko Mlikota, Klarinette
Adrian Albaladejo-Diaz, Posaune
Dino Georgeton, Perkussion
David Caflisch, Violine
Sofiia Suldina, Violine